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Artikel in der Welt am Sonntag vom 25.11.2001

Stiller Abschied vom Mythos Kap Hoorn

Sie sind die letzten Kap Horniers. Vor Jahrzehnten kreuzten sie um das berühmte Kap. Jetzt waren sie noch einmal an der Spitze Südamerikas, um Abschied zu nehmen

Von Svante Domizlaff und Peter Geller

Dämmerung vor Kap Hoorn. Im Norden steht noch der Vollmond, im Osten schießt der helle Strahlenkranz der Sonne über den Horizont. Schwarzes Wasser bricht sich an schroffen Felsen. Kalter Sturmwind. Ein Morgen wie am zweiten Schöpfungstag, als die Wasser sich sammelten und vom Trockenen schieden und der Mensch noch nicht geschaffen war.

Aber Menschen sind an diesem Morgen doch hier, ein halbes Dutzend alte Männer. Sie stehen stumm auf der Brücke des chilenischen Versorgungsschiffs "Aquiles", die weißen Kapitänsmützen mit dem Albatros-Abzeichen tief ins Gesicht gezogen. Einer hat den Sturmriemen ums Kinn gelegt.

Die Männer sind Kap Horniers. Die letzten ihrer Zunft. Vor mehr als einem Menschenalter waren sie schon einmal hier. Als Segelschiffmatrosen auf frachttragenden Windjammern kreuzten sie um das berühmte Kap Hoorn, die Spitze Südamerikas, einen 450 Meter hohen Granitblock auf Position 55 Grad 59' Süd, 67 Grad 16' West. Die Erinnerung daran hat sie ihr ganzes Leben lang nicht verlassen.

Noch bevor die Sonne über die Kimm gestiegen ist, erhebt sich im Westen die Insel Cabo de Hornos aus dem Meer. Ein mächtiger, dräuender Schatten. Kahl ist das Felseneiland, flach im Osten, steil aufgetürmt im Westen. Gelbgrünes Gras klammert sich an den grauen Fels. Dürres Gebüsch duckt sich in den windgeschützten Granitschründen.

An Bord der "Aquiles" ist es totenstill geworden. Nur der tiefe Bass des Sturms ist zu hören, wie er sich an den Aufbauten der "Aquiles" bricht. Niemand wagt zu sprechen. Vielleicht ist es der Respekt vor dem Mythos dieser Insel. Vielleicht der Respekt vor den alten Männern, die da stehen, ganz allein mit ihren Gedanken.

In einer schlecht geschützten Bucht im Osten von Cabo de Hornos geht die "Aquiles" vor Anker. Die Stimmung ist angespannt, denn ab Windstärke acht darf der Bordhubschrauber nicht mehr fliegen. 40 Knoten Wind zeigt das Anemometer, genau Stärke acht. Wird es trotzdem gelingen, an Land zu kommen?

Kapitän Rudolf Wittenhagen, 74, ist nie um Kap Hoorn gesegelt. Aber er kämpfte sich als Matrose, Offizier und Kapitän von Windjammern wie "Pamir", "Passat" und "Alexander von Humboldt" durch manchen Sturm. Dafür haben sie ihn zum Ehren-Kap-Hornier gemacht. Und er ist in besonderer Mission unterwegs. Die Werft Blohm+Voss hat ihm eine Kopie des Seefahrer-Denkmals von der Hamburger Hafenrandstraße mitgegeben, die "Madonna of the Sea", wie der Käpt'n sie nennt, 13 Kilo Bronze. Wittenhagen wird sie auf Kap Hoorn aufstellen. Er wiegt sie zärtlich wie ein Baby im Arm.

Otto Letz, 85, Flensburger, war Leichtmatrose auf der "Padua". Kap-Hoorn-Umrundungen 1936/37, später Steuerfahnder, Fregattenkapitän der Marine und Segellehrer. Er hat schon die Schwimmweste übergestreift. Auch Reinhold Heinemann, 84, hat sich fertig gemacht. Er ist ein echter Junge von St. Pauli. Zweimal führte ihn der Kurs an Kap Hoorn vorbei, und er fror sich fast die Finger ab. Das war 1937. Für die Insel hat er sich fein gemacht. Trägt weißes Hemd und graue Hose. Wie zu einem Festtag.

Und dann geschieht ein Wunder.

Innerhalb weniger Minuten sind alle Wolken vom Himmel verschwunden. Der Wind flaut ab, bis auf ein mildes Lüftchen. Ja, es wird geradezu warm am Kap Hoorn. Albatrosse ziehen ihre Kreise. In rasender Eile jagt der Hubschrauber zwischen Insel und Schiff hin und her. Dann sind die Kap Horniers, sechs "echte" sind nur noch darunter, aus Deutschland, von den Alands Inseln, von Tasmanien und Neuseeland, am Ziel ihrer Träume: Sie stehen auf "ihrem" Kap.

Der Leuchtturmwärter, der hier mit Frau, Tochter und Hund lebt, blickt verwundert aus seiner Wellblechhütte. Seit drei Wochen konnte er keinen Schritt vor die Tür machen. Ununterbrochen Orkanstärke zwölf, erzählt er. So einen Morgen wie diesen hat er seit zwei Jahren nicht erlebt.

Es ist, als wolle sich der Westwind vor den alten Männern verbeugen, indem er für einen Bruchteil der Sturmewigkeit den Atem anhält.

Gemessenen Schrittes steigen die Kap Horniers auf den ausgeblichenen Bohlenwegen hinauf zur winzigen Kapelle von Cabo de Hornos. Innen bauen sich die alten Männer auf und nehmen ihre Mützen in die Hand. Jetzt wird es wirklich ganz still hier am Ende der Welt. Nicht einmal ein Flüstern des Windes ist zu vernehmen. Kapitän Wittenhagen tritt vor und stellt seine bronzene Statue auf den kleinen, weiß gedeckten Altar. Das Gesicht der Madonna wird nach Süden ausgerichtet. Dorthin, wo die Segelschiffe vorbeikamen. Dann spricht der Käpt'n von den toten Seeleuten und den verlorenen Schiffen und von der Macht Kap Hoorns und vom Untergang der Hamburger Viermastbark "Pamir": 1959, nur sechs von 80 überlebten.

Da sammeln sich in den Gesichtern der alten Männer die salzigen Tropfen. Es ist kein Meerwasser. Und die Kap Horniers machen ihren Frieden mit "dem verdammten Hoorn", mit der See, mit ihrem erfüllten Leben.

Auch Reinhold Heinemann, der Junge von St. Pauli, hat seinen Frieden gemacht. Ein paar Tage später, Kap Hoorn im Herzen und chilenisches Festland unter den Füßen, geht Heinemanns Leben dahin. Still und bescheiden, wie es seine Art war.

Aber was für ein Tod.

Hier finden Sie diesen Artikel auch im Online-Archiv der Welt am Sonntag:

http://www.welt.de/daten/2001/11/25/1125h1298131.htx

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Die letzte Fahrt der Kap Horniers

Kap Hornier zu sein war der härteste Job der Welt. Die es schafften, gehören zum Seefahrer-Adel. 1936 gründeten sie in Frankreich die Amicale Internationale des Capitaines au Long-Cours Cap Hornier St. Malo (A.I.C.H.), den internationalen Brüderbund der Kap-Hoorn-Bezwinger. Unter den wenigen, die noch leben, ist keiner jünger als 85 Jahre. Wie auch? 1948 kreuzte der letzte Großsegler vor Kap Hoorn.

Und weil ihre Wache bald vorbei ist, lösen sie den Bund nun auf. Aber an einem "Frühlingsmorgen" im November sind sie noch einmal nach Kap Hoorn unterwegs, um Abschied zu nehmen vom Mythos Kap Hoorn, mit dem jeder seine ganz eigene Geschichte verbindet.

Manche, wie 1905 die Kameraden vom Hamburger Vollschiff "Susanna", kreuzten bis zu 99 Tage in der Sturmhölle. Andere, wie die "Admiral Karpfanger" 1938, kamen nie ans Ziel. "Verschollen vor Kap Hoorn", hieß es dann. Hunderte Schiffe, zehntausend Seeleute teilten ihr Schicksal. Die Viermastbark "Priwall", auch aus Hamburg, hat es 1938 in fünfeinhalb Tagen geschafft. Das war der Rekord. Davon reden sie heute noch.

Nächste Folge: Der Segelmacher von Kap Hoorn;
Folge 3: Rund Kap Hoorn auf dem Fahrrad;
Folge 4: Die Stürme des Kapitän Wittenhagen

Hier finden Sie diesen Artikel auch im Online-Archiv der Welt am Sonntag:

http://www.welt.de/daten/2001/11/25/1125h1298132.htx

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