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Artikel im Hamburger Abendblatt vom 3/4.11.2001

Das Ende vom Mythos um Kap Hoorn

ABSCHIED
Noch einmal werden an diesem Wochenende die letzten Kap Horniers an die stürmische Spitze Südamerikas reisen, um ein Kapitel Seefahrtsgeschichte abzuschließen.

Von Svante Domizlaff
Fotos: Peter Geller

Valparaiso - Vor der Kapelle der Marineakademie von Valparaiso hoch über dem Hafen steht Kapitän Rudolf Wittenhagen und blickt prüfend in den Himmel. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. "Liegt schlecht Wetter in der Luft", meint der Kapitän. "Sehen Sie mal die feinen Zirruswolken am Horizont. Da zieht was auf." Ein alter Fahrensmann wie er schnuppert jede Veränderung des Wetters. Das liegt dem Seemann im Blut.

Die Seeleute, das Wetter, die See, Kap Hoorn. Sie stehen heute im Mittelpunkt. Von den mehr als 100 Kap Horniers aus zwölf Nationen, die vom 29. Oktober bis zum 7. November nach Chile gekommen sind, sind die Deutschen mit 22 Teilnehmern nach Chile die größte Gruppe.

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Jeder der alten Kap Horniers fühlt, die letzte Wache tritt bald ab. Und es kommt keine neue, um sie abzulösen.

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Es sind aber nur zweieinhalb echte Kap Horniers darunter. Das hohe Alter und die lange Anreise haben die wenigen verbliebenen abgehalten, das Kap noch einmal zu besuchen.

Mit einem ökumenischen Gottesdienst nehmen die Männer Abschied von dem sturmumtosten Kap, das sie in ihrer Jugend wenigstens einmal umrundet haben. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist das her. Die letzten ihrer Zunft sind von überall her gekommen. Stolz und ungebeugt schreiten sie in die Kapelle, die weißen Mützen auf dem grau gewordenen Haar, blinkende Goldknöpfe an der blauen Jacke und auf der Brust das Wappen der Kap-Hoorn-Brüderschaft mit dem Albatroskopf im roten Kreis.

Den Choral "Nun danket alle Gott" singen sie gemeinsam in spanischer, englischer, finnischer und deutscher Sprache und es klingt wie aus einem Guss. Dann kommt der schwerste Augenblick. Zur Orgelmusik von Bachs "Air" tritt von jeder Nation ein Kapitän auf die Kanzel und liest die Namen all jener Kap Horniers vor, die im letzten Jahr verstorben sind. Von den Aland Inseln sind es elf Namen, von Finnland acht, drei aus Dänemark, aus Neuseeland einer, 13 aus Deutschland. Jeder fühlt, die letzte Wache tritt bald ab. Und es kommt keine neue, um sie abzulösen. Sie tragen einen Mythos zu Grabe, den Mythos von Kap Hoorn.

Im Jahre 2003 wird dieses letzte Kapitel der Berufsschiffahrt unter Segeln endgültig geschlossen: Die Kap Horniers treffen sich dann in St. Malo an der französischen Atlantikküste, da, wo der Freundschaftsbund der Seefahrer 1936 geschlossen wurde, um ihr Bündnis aufzulösen. Damit ist das Buch der Kap Horniers geschlossen.

Reinhold Heinemann aus Hamburg ist 85 Jahre alt. Nach 22stündigem Flug, "wir mussten über dem Atlantik umdrehen und in Las Palmas notlanden, weil an Bord ein Passagier krank geworden war", steigt er in Santiago aus der Maschine, als sei es nur ein Wochenendausflug: die Schippermütze mit dem Albatrossymbol der Kap Horniers auf dem Kopf, Augenbrauen so dicht wie der Seetang im Saragassa-Meer, ein breites Lachen im Gesicht, eine hoch aufgeschossene, sehnige Figur, die noch kein Sturm beugen konnte.

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Carlheinz Hollmann wird sich beim NDR-Hafenkonzert am Sonntag, 6 Uhr, per Satellitentelefon vom Kap Hoorn melden.

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Nach dem langen Flug kommt ihm keine Klage über die Lippen: "Ich bin Witwer und unternehme gern was in meiner Freizeit." 64 Jahre lang ist Reinhold Heinemann nicht mehr in Chile gewesen. Er umsegelte Kap Hoorn 1937 zweimal als Segelmacher an Bord des Flying-P-Liners "Priwall" unter Kapitän Hauth. Segelmacher in Hamburg ist er fast sein ganzes Leben lang geblieben.

Die Viermastbark "Priwall" war speziell für die Kap-Fahrt gebaut worden, schnell, stabil, erhöhte Decksaufbauten, die, wie drei Inseln angeordnet, mit Laufbrücken verbunden sind, damit die Besatzung bei Sturm nicht bis zum Hals im Wasser arbeiten muss. Wenn andere Windjammer längst beidrehten, stürmten die Flying-P-Liner noch pünktlich wie die Eisenbahn ums Kap.

Im Schnitt benötigten die Laeisz-Schiffe zwischen acht und elf Tagen für die Umrundung, eine Distanz die vom 50. Breitengrad hinunter auf 55 Grad 56 Min. Süd führte, also auf die Höhe von Kap Hoorn, und auf der gegenüberliegenden Seite Südamerikas wieder hinauf bis auf 50. Grad. Heinemann und die "Priwall" verfolgte das Pech: "Wir hatten Kohle und Zement für Chile geladen", erzählt er. "Vor Kap Hoorn bekamen wir sehr schlechtes Wetter. Der Gegenwind zwang uns bis tief hinunter in antarktische Gewässer, wo uns Eisberge bedrohten. Damals hat es mich beinah erwischt. Als ich einmal aus der Kajüte an Deck trat, rauschte ein Brecher über das gesamte Schiff und drückte mich unter Wasser, dass mir Hören und Sehen verging. Ich bin mitgerissen worden und dann gegen einen harten Gegenstand gestoßen, an dem ich mich festklammern konnte. Es war eine Windhutze, die Öffnung zu einem Luftschacht, die mich gerettet hat."

Auch die Rückreise hatte ihren Schrecken. Heinemann: "Mit einer Ladung Guano an Bord kamen wir mit achterlichem Wind problemlos an Kap Hoorn vorbei. Gerade als wir dachten, es sei geschafft, ist eine Orkanböe über uns hergefallen. Innerhalb weniger Minuten verloren wir zwölf Segel. Als Segelmacher kam da eine Menge Arbeit auf mich zu. Tagelang habe ich mit allen verfügbaren Kräften geschuftet. Sogar der Smutje war zum Segelnähen abgestellt. Die "Priwall" muss sehr komisch ausgesehen haben, mit ihrer halben Besegelung, denn wir haben uns an den Masten von oben nach unten gearbeitet, also erst die kleineren Segel und dann die größeren genäht." Heinemann erinnert sich: "Hauth war eigentlich ein guter Kapitän, aber in der Reederei nicht gut angesehen. Seine "Priwall" war oft verspätet. Ja, Hauth hat oft Pech gehabt mit dem Wetter. Auf seiner nächsten Reise mit der "Priwall" 1938 stand ihm das Glück zur Seite. Da schaffte er eine Kap-Hoorn-Umrundung in fünf Tagen und 14 Stunden. Es ist die schnellste Zeit, die je ein Segler geschafft hat. Das ist ihm natürlich eine Genugtuung gewesen. Leider konnte ich diese Reise nicht mehr mitmachen. Ich wurde zum Arbeitsdienst eingezogen. Nach dem Krieg habe ich dann als Segelmacher gearbeitet, aber an Land."

Auf Einladung der chilenischen Marine besteigen die Kap Horniers an diesem Wochenende ein Flugzeug, das sie in vierstündigem Flug von Santiago 3000 Kilometer entlang der Anden nach Punta Arenas bringen wird. Dort wartet das Marine-Versorgungsschiff "Aquiles" um sie an Bord zu nehmen. Sie werden noch einmal Kap Hoorn umrunden um schließlich, wenn es das Wetter zulässt, auf der Isla de Hornos an Land zu gehen. Keiner von ihnen hat dieses Land je betreten. Am Ende ihres Lebens wollen sie Frieden schließen mit dem übermächtigen Feind, der Natur ihren Respekt bezeugen. Ein allerletztes Mal.

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KAP HOORN

Kap Hoorn, das ist nicht nur die zu Chile gehörende Insel auf der Position 55 Grad 59' südlicher Breite und 67 Grad 16' westlicher Länge, der südlichste Teil des amerikanischen Kontinents - Kap Hoorn, das ist ein Mythos. Seit 1616 die Holländer Isaac Lemaire und Wilhelm Schoulten mit ihrem Segler "Eendracht" als Erste die Insel passierten und ihr den Namen ihrer friesischen Heimatstadt Hoorn gaben, sind mehr als 2000 Schiffe vor Kap Hoorn gesunken, mehr als 10 000 Seeleute verloren ihr Leben. Mehrere Umstände machten die Umrundung so gefährlich. Zwischen Kap Hoorn und der Antarktis weht es zu allen Zeiten vorherrschend stürmisch, oft orkanartig aus westlichen Richtungen, dazu ist es in jeder Jahreszeit bitter kalt. Da Rahsegler kaum gegen den Wind aufkreuzen können, mussten sie die kleinste Winddrehung ausnutzen, die einen Kurs in westlicher Richtung ermöglichte. Wegen des stets bedeckten Himmels war es den Kapitänen kaum möglich, eine Standortbestimmung mit dem Sextanten zu finden.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte ein regelrechter Kap-Hoorn-Verkehr ein. Es waren zunächst Passagiere auf leichten hölzernen Klippern, die von der US-Ostküste nach Kalifornien segelten, um Gold zu suchen.

Den Höhepunkt erreichte die Kap-Hoorn-Fahrt zwischen 1900 und 1914, als die großen Nitratvorkommen in Chile den Grundstoff für Schießpulver und für Düngemittel lieferten und als Guano (Vogelmist) und Salpeter nach Europa transportiert wurden. Mit der Eröffnung des Panama Kanals 1914 und dem Beginn der synthetischen Nitrat-Gewinnung verlor die Route an Bedeutung. Aber noch bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges segelten Schiffe der Reederei F. Laeisz regelmäßig um Kap Hoorn.

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KAP HORNIERS

Die Amicale Internationale des Capitaines au Long-Cours Cap Hornier - Saint Malo (A.I.C.H.) wurde 1936 gegründet. Mitglieder waren zunächst die Kapitäne, die Segelschiffe um Kap Hoorn führten. Vornehmlich die Flying-P-Liner der Hamburger Reederei F. Laeisz hielten den Verkehr zwischen Europa und der Westküste Südamerikas aufrecht. Die Viermastbarken "Pamir" und "Passat" 1948/49 waren die letzten Großsegler, die Kap Hoorn umsegelten.

Bald wurde der Kreis der Kap Horniers vergrößert. Zu den "Albatros" genannten Kapitänen kamen die Seeleute hinzu, die Kap Hoorn nur als Mannschaftsdienstgrad umrundet, aber später das Kapitänspatent erworben hatten. Sie werden "Malamok" genannt, nach dem kleinen Bruder des Albatros. "Voiliers", Segler, heißen die einfachen Seeleute, "Kap-Tauben" nannten sich die Ehefrauen der Kapitäne.

Hier finden Sie diesen Artikel auch im Online-Archiv des Hamburger Abendblatts:

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